Seit geraumer Zeit ist das Thema „Besitzstörung“ in aller Munde. Oft wird es mit negativen Gefühlen assoziiert – nicht zuletzt, weil damit häufig hohe Kosten oder vermeintliche „Strafen“ verbunden sind.

Doch was steckt nun hinter dem magischen Wort „Besitzstörung“ tatsächlich? Ein unverzichtbares Instrument des österreichischen Privatrechts – oder doch eher ein gesetzliches Werkzeug, das unter Umständen auch zur bloßen Einschüchterung oder „Geldmacherei“ verwendet werden kann? Das und vieles mehr erfahren Sie in folgendem Eintrag.

Besitzstörung

Der Begriff „Besitzstörung“ besteht aus zwei Wörtern, nämlich „Besitz“ und „Störung“, klingt einleuchtend, braucht allerdings eine nähere Ausführung, da das Recht, wie wir wissen, die Welt der Details ist.

Im Recht unterscheidet man strikt zwischen Eigentum (Recht) und Besitz (Faktum):

  1. Das Eigentum ist das umfassendste Recht, was man hinsichtlich einer Sache haben kann.
  2. Der Besitz allerdings beschreibt nur eine gewollte faktische Sachherrschaft, also ein bloßes Faktum.

Mit anderen Worten beschreibt das Eigentum den Umstand eine Sache haben zu dürfen, der Besitz eine Sache tatsächlich zu haben. Meistens fallen beide Rechtspositionen selbstverständlich zusammen. Deutlicher wird der Unterschied zwischen den beiden Begriffen, wenn man sich folgendes Beispiel vor Augen führt:

Der Eigentümer eines großen Hauses mit vielen Wohnungen hat das vollumfassende Recht an diesem Haus. Er darf damit im Prinzip alles machen, also auch das Haus besitzen (z.B. darin wohnen). Wenn der Eigentümer in seinem Haus wohnt, dann fallen Eigentum (Recht) und Besitz (Faktum) zusammen. Er darf im Haus wohnen und er tut dies tatsächlich und gewollt. Soweit so klar?

Der Eigentümer des Hauses vermietet nun eine Wohnung. Welche Stellung hat der Mieter? Dieser hat dann zwar kein vollumfassendes Recht an der Wohnung, sondern ein vom Eigentümer abgeleitetes Recht an dieser. Sofern der Mieter dann in dem Raum beginnt zu wohnen, sieht man eine interessante Parallelität zum Eigentümer: Recht und Faktum fallen zusammen. Das Recht leitet sich vom Eigentümer in Form eines Mietvertrages ab. (Recht) Das tatsächliche und gewollte Wohnen in der Wohnung beschreibt etwas Tatsächliches, nämlich den Besitz an dieser. (Faktum)

Einfach gesagt begründet das Mietverhältnis zwischen Eigentümer und Mieter das Besitzrecht des Mieters → das Recht zu wohnen.

Wir halten daher fest:

Das Recht an einer Sache ist zu trennen vom Faktum diese Sache zu besitzen. In fast allen Fällen fallen Recht und Besitz an einer Sache zusammen.

Unser ABGB ist, wenn es um den Schutz dieser Rechtspositionen geht, sehr großzügig. Denn nicht nur das Eigentum, sondern auch der bloße Besitz an einer Sache wird geschützt. Wie wir aber wissen, kann sowohl der Eigentümer und der bloße Besitzer besitzen. Der Name: Besitzstörung, also daher, weil das Faktum Besitz geschützt wird. Natürlich gibt es auch Instrumente im ABGB, die das Eigentum schützen.

Wenn wir schon dabei sind: Was ist eine Störung eigentlich?

Das ist jede tatsächliche Beeinträchtigung dieses Besitzes, die den bisherigen Gebrauch einer Sache oder eines Rechtes verhindert oder erschwert.

Beispiele: Ich betrete das Haus des Eigentümers ohne seine Zustimmung. Ich verschließe die Türe des Mieters zu seiner Wohnung. Ich parke die Garageneinfahrt zu. Grundsätzlich jeder erdenkliche Grund, der unter die genannten Voraussetzungen fällt.

Ohne uns jetzt im Dschungel der Rechtswissenschaften zu verlieren fixieren wir: Das Eigentum und der Besitz können gestört werden und werden daher von der Rechtsordnung geschützt. Die Störung kann in jeder erdenklichen Art ergehen.

Eigentlich eine tolle Angelegenheit und nichts Aufregendes, oder?

Nein!

Warum ist das heutzutage ein großes Thema?

Wir stellten fest, dass die Störung in jeder erdenklichen Art ergehen kann. Aus rechtlicher Sicht bedeutet das, dass das ABGB keine abschließende Definition des Begriffs „Störung“ liefert, sondern es dem Rechtsanwender überlässt, im Einzelfall zu beurteilen, ob eine solche vorliegt. In der Praxis führt das dazu, dass jeder Fall individuell geprüft werden muss, ob tatsächlich eine Besitzstörung gegeben ist. Diese Einzelfallprüfung gestaltet sich oft mühsam und kann in langwierige Gerichtsverfahren münden.

Sofern Sie bis hierher aufmerksam gelesen haben, wird Ihnen aufgefallen sein, welche Schlüsse manche daraus ziehen können:

  • Der Begriff der „Störung“ ist im Gesetz unklar definiert. Ob tatsächlich eine Besitzstörung vorliegt, lässt sich in der Praxis meist nur anhand einschlägiger Gerichtsentscheidungen bestimmen.
  • Genau diese Entscheidungen setzen jedoch ein Gerichtsverfahren voraus – ein Prozess, der oft teuer, langwierig und mühsam ist.

Und genau darin liegt das „Geheimrezept“ hinter der Androhung einer Besitzstörungsklage:

Wer sich in seinem Besitz vermeintlich gestört fühlt, wartet lediglich auf das kleinste Anzeichen – das sprichwörtliche „B“ einer Besitzstörung – und droht dann mit einem Gerichtsverfahren. Dabei steht zu diesem Zeitpunkt oft noch gar nicht fest, ob überhaupt eine Besitzstörung vorliegt. Gleichzeitig wird angeboten, eben so ein Verfahren nicht zu führen, wenn für die vermeintlich begangene Besitzstörung eine Pauschale von zumeist EUR 395 bezahlt wird. Dieses Angebot ist übrigens rechtlich gesehen als Vergleich zu werten.

Leider glauben viele Menschen, bei der Zahlung der rund 400 Euro handle es sich um eine „Strafe“. Tatsächlich ist diese Summe jedoch lediglich ein Angebot zur außergerichtlichen Beilegung des Konflikts – also eine Möglichkeit, ein Gerichtsverfahren zu vermeiden. Wer bezahlt, erspart sich zwar den Weg vor Gericht, ist das Geld aber los – ohne je zu erfahren, ob tatsächlich eine Besitzstörung vorlag oder nicht. Die zentrale Frage bleibt somit ungeklärt, und eine rechtliche Klärung wird bewusst vermieden.

Ein aktuelles Beispiel dafür liefert der Fall in der Quellenstraße 92.

Fazit

Die eingangs gestellte Frage, ob die Besitzstörungsklage im österreichischen Privatrecht ein unverzichtbares Instrument oder lediglich ein Mittel zur Geldmacherei ist, lässt sich – wie so oft im Recht – nicht eindeutig beantworten. Viel hängt von der jeweiligen Perspektive ab.

Sicher ist: Niemand möchte als Eigentümer oder Mieter in seinem bzw. ihrem Besitz gestört werden. Der rechtliche Schutz solcher Positionen ist zweifellos notwendig und zentral für ein funktionierendes Zivilrecht.

Problematisch wird es jedoch dann, wenn das Besitzstörungsverfahren missbräuchlich eingesetzt wird – etwa allein mit dem Ziel, eine Vergleichszahlung von knapp 400 € zu erzwingen. Obwohl der Gesetzgeber für solche Vergleichspauschalen keine Obergrenze festgelegt hat, stellt die Bezahlung solcher Beträge für viele Menschen eine erhebliche Belastung dar.

Erschwerend kommt hinzu, dass oftmals gar nicht klar feststeht, ob überhaupt eine Besitzstörung vorliegt. Dennoch behaupten die vermeintlich „Gestörten“ häufig voreilig genau das – wohlwissend, dass schon die bloße Androhung eines Gerichtsverfahrens Druck erzeugen kann.